Zahnbehandlung beim Pferd - eine Notwendigkeit oder modischer Schnickschnack?

Ich werde oft gefragt, warum eine Zahnbehandlung beim Pferd denn überhaupt notwendig sei, in der Natur würde es so etwas doch schließlich auch nicht geben. Die regelmäßige Pferdezahnkontrolle und –pflege ist jedoch aus mehreren Gründen sinnvoll und wichtig.

 

Um die Vorgänge im Pferdemaul besser verstehen zu können, ist ein kleiner Ausflug in die Anatomie der Pferdezähne notwendig.

Pferde besitzen, im Gegensatz zu uns Menschen, schmelzfaltige Zähne. Der Zahnschmelz, der die härteste Substanz des Zahnes darstellt, überzieht nicht kappenartig den gesamten Zahn- wie beim Menschen- sondern ist in die beiden anderen und viel weicheren Zahnbestandteile Dentin und Zement eingefaltet. Bei der Zerkleinerung des Futters nutzen sich die verschiedenen harten Substanzen des Zahnes unterschiedlich ab- der Zahnschmelz eher langsamer, Dentin und Zement deutlich schneller. Dadurch stehen die Schmelzkanten auf der Zahnoberfläche etwas hervor und es bildet sich eine raue und griffige Kaufläche. Diese Rauigkeit ist für eine optimale Zerkleinerung und Aufschließung des Futters notwendig.

Der Pferdezahn hat im Alter von 6-8 Jahren seine volle Länge von bis zu 12 cm erreicht. Er nutzt sich jedoch pro Jahr ca. 2-3 mm ab und jährlich werden die Zähne entsprechend um diese 2-3 mm weiter aus dem Zahnfach herausgeschoben, um sich wiederrum abzunutzen.

Wild lebende Pferde weiden täglich 16 bis 18 Stunden. Dabei wird drahtiges, trockenes und energiearmes Steppengras aufgenommen, welches mit einer vollständigen Kaubewegung über die gesamte Kaufläche hinweg gründlich zermahlt werden muss.  Während der langen Fressperiode werden zusätzlich Sand, Staub und Silikate aufgenommen, welche ebenfalls zu einer natürlichen und gleichmäßigen Abnutzung der Zähne beitragen. Dies erfolgt verstärkt während der Winterperiode, in der die Grasnarbe sehr kurz ist und somit vermehrt Sandpartikel aufgenommen werden. Sowohl die Schneidezähne als auch die Backenzähne  unterliegen so dem Prinzip von Abrieb und Nachschub. Das Gebiss wird gleichmäßig belastet und ist in Balance.

 

Bei der heutigen, in Europa üblichen Pferdehaltung ist das Zusammenspiel von Abrieb und Nachschub aus dem Gleichgewicht geraten. In der Regel werden nur 2-3x täglich Mahlzeiten angeboten und die eingesetzten Futtermittel weisen dabei andere Eigenschaften auf als das ursprüngliche Futterangebot der Steppe. Es handelt sich um viel weichere und energiereichere Nahrung, welche in einer kürzeren Zeit aufgenommen werden und weniger gründlich zerkaut werden müssen.

 

Die Zähne nutzen sich daher weniger und durch den verkürzten Kauschlag auch fehlerhaft ab. Dadurch wird die Bildung von scharfen Kanten begünstigt- im Oberkiefer außen, im Unterkiefer innen- was daran liegt, dass der Oberkiefer breiter als der Unterkiefer ist.

Diese scharfen Kanten  können die Backenschleimhaut und die Zunge massiv verletzen. Auf der Kaufläche können durch den fehlerhaften Abrieb Unregelmäßigkeiten entstehen, die zum Teil ein extremes Ausmaß annehmen können.

 

Die Schneidezähne müssen weniger eingesetzt werden- vor allem die Aufnahme von kurzem Gras und damit verbunden auch von Sandpartikel ist deutlich eingeschränkt. Heu und Stroh sind bereits geschnitten, das Kraftfutter wird ohne den Gebrauch der Schneidezähne aufgenommen und das heutige Gras ist viel weicher als Steppengras, es kann auch mit den Lippen abgerissen werden. Durch den reduzierten Abrieb der Schneidezähne werden diese im Verhältnis zu den Backenzähnen häufig zu lang und bekommen so eine zu große Belastung ab. Der Abstand zwischen den Backenzähnen, bedingt durch die Schneidezahnlänge, vergrößert sich und erst bei sehr weiten Seitwärtsbewegungen können die Backenzähne zum Mahlen überhaupt aufeinander gebracht werden. Gleichzeitig wird der Kaudruck erhöht, um das Futter weiterhin gut zerkleinern zu können. Dabei werden die Kiefergelenke ebenfalls übermäßig belastet.

 

Durch die mangelhafte und fehlerhafte Abnutzung von Schneidezähnen und Backenzähnen entstehen Unregelmäßigkeiten auf der Kaufläche, die bis zur völligen Blockade führen können. Fehlt beispielsweise ein Zahn, so fehlt dem Gegenspieler der Abrieb und er wird so lang, dass die Beweglichkeit der Kiefer blockieren können und sich der Zahn sogar bis in das Zahnfleisch und in den Kieferknochen der gegenüberliegenden Seite bohren kann. Aber auch weniger dramatische Unebenheiten können durch eine ungleiche Belastung der einzelnen Zähne zur Verstärkung von Fehlstellungen, Zahnfrakturen und –lockerungen führen.

In der Natur herrschen harte Gesetze- wer Schwäche zeigt, der wird in der Herde nicht lange überleben. Wer schlechte Zähne hat und im  schlimmsten Falle nicht mehr fressen kann, der wird sich weder weitervererben noch wird er überleben.  Als Fluchttier folgert sich daraus, dass Schmerzen oft erst sehr spät gezeigt werden und damit Probleme, sei es im Bereich des Maules oder auch in anderen Regionen, dann schon oft sehr weit fortgeschritten sind. Die Aussage: „der frisst ja noch und abgemagert sieht er auch nicht aus“ hört man oft, und trotzdem findet man genau bei diesen fressenden, wohlgenährten Pferden zum Teil massive Zahnprobleme vor.

 

Die Einflüsse der Zucht spielen eine weitere Rolle. Es werden immer feinere Pferdeköpfe bevorzugt, die Zähne haben sich in der Größe jedoch wenig verändert. Daraus resultieren Platzprobleme im Maul, die Zähne finden in der Zahnreihe an sich keinen Raum und weichen zur Backe oder zur Zunge bzw. Gaumen hin aus.

 

Und zu guter Letzt geht es in der heutigen Pferdehaltung nicht nur darum, dass die Tiere ihr Futter irgendwie herunterbekommen und damit  überleben. Wir möchten sie als Reittier oder zum Fahren nutzen und  dabei werden schon weniger dramatische Zahnbefunde relevant. Mit scharfen Kanten kann das Heu meist noch gut zermahlen und abgeschluckt werden, aber reiterlich kann es zu großen Problemen kommen. Dazu kommt die emotionale Bindung zu dem Haustier Pferd, bei der es nicht nur um Funktion, sondern auch um das Wohl und die Zufriedenheit des Tieres geht.

 

Die Wichtigkeit einer regelmäßigen Hufpflege durch den Hufschmied ist vielen Pferdebesitzern bewusst, da sich der Huf bei der in Europa üblichen Pferdehaltung nicht optimal abnutzt bzw. den Anforderungen nicht gewachsen ist. Für die Zähne des Pferdes gilt Gleiches, auch wenn  diese Notwendigkeit noch nicht ganz so geläufig ist.